Vortrag von Frau Hepp am 22.11.2010

Vortrag am 22. November 2010 in der Aula der Georg-Hager-Schule Mundelsheim mit der Ärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie und –psychotherapie
Frau Marie-Luise Hepp aus Ludwigsburg

 

Rund 60 Eltern, Erzieherinnen und Lehrkräfte hatten sich trotz unwirtlicher Temperaturen am Montagabend in der Schulaula eingefunden, um den Ausführungen von Frau Hepp zu folgen.

Sie stellte gleich zu Beginn die Frage, warum psychische Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen zunehmen? Kindsein heute hat sich verändert. Frau Hepp zeigte Bilder, z. B. eines vierjährigen Mädchens, das bereits in Erwachsenenkleidung posierte. Soziologische Erhebungen zeigen die Veränderungen: bis zum Jahr 1990 folgte ein Wechsel der Jugendgenerationen etwa alle 7 Jahre; ab 1990 bereits nach 3 Geburtsjahrgängen. 
Während man 1980 noch von ein bis zwei auffälligen Kindern pro Schulklasse ausging, waren es 1985 bereits vier, 1990 schon sechs und 1998 bereits sieben bis acht. „Heutzutage sind halbe Klassen bereits Brennpunktklassen“, postulierte die Ärztin.

 

Die klassischen Sozialisationsinstanzen Familie und Schule werden von modernen Medien und dem Einfluss der peergroup (=Gleichaltrige) verdrängt. Konflikte, Gewaltdarstellungen sogar Morde werden allein im Film 20000mal und mehr gesehen, jedoch nicht die Konfliktlösungen oder positive Herangehensweisen, wie das Leben gelingt.

Laut dem deutschen Bildungsforschungsinstitut in Dortmund wünschen sich Eltern von Neugeborenen mit 59 % das Abitur, 30 % wünschen sich den Realschulabschluss und 10 % die Hauptschule. Tatsache ist, dass 9,4 % aller Kinder nicht einmal den HS-Abschluss erreichen. Was ist geschehen? Welche Basiskompetenzen in Erziehung und den gesellschaftlichen Bereichen fehlen?

Frau Hepp führte aus, dass Zuwendung die Voraussetzung für die gelingende Erziehung von Anfang an ist. Gerichtete Aufmerksamkeit, Geborgenheit und Liebe wirken auf die Neuro-transmitter im Gehirn (Anstieg von ACTH), all dies wird heute von der Hirnforschung belegt.
Die non-verbale Kommunikation (Mimik, Gestik) wie das Kind angeschaut wird, welches Lächeln ihm entgegen gebracht wird, wirkt auf seine Entwicklung. Von Anfang an werden Spuren in der Seele (bzw. Gehirn) gelegt, Erfahrungen miteinander verknüpft oder, so Frau Hepp, „Synapsenausprägungen“ über Wiederholungen verstärkt. Was gelernt oder gemerkt wird, geht auf Wiederholungen zurück. Rhythmisches, regelhaftes Lernen, zuverlässige Rituale und Wiederholungen verstärken den Lernzuwachs. Stress oder gar Drill sind nicht förderlich. Eine positive emotionale Schwingung befördert auch positive Entwicklungsschritte. Problematisch sind ebenfalls Mobbing-Erfahrungen oder die Zuweisung einer Außenseiter-Rolle. Scannerbilder des Gehirns belegen heutzutage, dass das Schmerzzentrum aktiv ist, sowohl bei körperlichem als auch bei psychischem Schmerz.

Lernen, ob zuhause oder in der Schule (und das Gehirn lernt immer, leider auch das, was es nicht lernen sollte), braucht das Anknüpfen am Vorwissen der Kinder, braucht Ermutigung und Erfahrungen sowie Zeit. Das Zeiterleben des Kindes ist im Vergleich zum Erwachsenen vollkommen anders. Eine Stunde sind für ein 6-Jähriges zehn Mal so lang wie für einen 60-Jährigen.

 

Zum Ende des wissenschaftlichen Vortrags fasste Frau Hepp noch einmal zusammen:
• Bewegung und Bilder prägen
• das kulturelle Umfeld, in das wir hineingeboren werden
• die jeweiligen Gestimmtheiten zuhause („Grundprogramme“ die entstehen)
• Begegnung durch Erzählen und durch Zuwendung (Sprachentwicklungsverzögerung sind heute häufiger, weil das Fernsehen nicht dazu beiträgt, den Wortschatz zu erhöhen)
• Geduld, Frustrationstoleranz und Verzichten-Können (Selbstregulation des Kindes)
• Kinder brauchen Bindung, Nähe und Geborgenheit und
• ihre Neugier, ihre Lust auf Entdeckungen kann von Anfang an geweckt werden.

 

Zuletzt informierte Frau Hepp noch über die Folgen einer „negativen Selbstkonzeption“. Unser Belohnungssystem im Gehirn (reagiert mit Dopaminausschüttungen) springt auch an, wenn sich ein Kind als Versager fühlt, wenn es meint, dass alle Anstrengungen nichts nützen. Hieraus können sich dann psychische Störungen entwickeln, autoaggressive Handlungen, wie das Ritzen, oder auch Essstörungen. Extreme Entwicklungen zeigen sich in Japan. Hohe Leistungsanforderungen und gesellschaftliche Veränderungen schufen das Phänomen „Hikkikomori“, bei dem immer mehr Kinder und Jugendliche sich in ihrem Zimmer vergraben, vor sich hin vegetieren, nicht mehr in die Schule gehen, keine echten Freunde haben, nur noch virtuelle Kontakte wahrnehmen bis zum Realitätsverlust.

Dass es nicht soweit kommen muss, zeigte die Geschichte mit der Frau Hepp ihren wissenschaftlichen Vortrag beendete: „Lehrt den Kindern zuerst die Sehnsucht nach dem Meer, dann wird die Technik des Schiffbauens und alles Weitere von selbst entstehen.“

 

Die Schulleitungen aus Hessigheim und Mundelsheim bedankten sich vielmals bei Frau Hepp, die auf ein Honorar verzichtete.  Die anwesenden Zuhörer spendeten 55,-- € für den Deutschen Kinderschutzbund. Allen Gebern ein herzliches Dankeschön.

 

gez. Hetzinger

 

Fotoserien

Vortrag Frau Hepp (29. 11. 2010)





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Veröffentlichung

Mo, 29. November 2010

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